Die Kraft des Atems - vom festhalten zum loslassen

Liebe Leser:innen,

Ich durfte mich näher mit einem Thema des Atmens beschäftigen. Zwei Komponenten, die mein Interesse geweckt haben, waren zum einen das Apnoetauchen und zum anderen die Meditation. Die beiden Ansätze wirken auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, haben jedoch eine tiefere gemeinsame Essenz: Beide zeigen uns, wie der Atem uns hilft, mit Herausforderungen umzugehen und innere Balance zu finden. Sie ergeben eine kraftvolle Verbindung zwischen Körper, Geist und der Wahrnehmung der Vergänglichkeit.

Ich kann nicht oft genug erwähnen, welch wunderbares Werkzeug wir durch unseren Atem haben. Er funktioniert sowohl unbewusst, wie viele andere organische Systeme in unserem Körper, doch er ist der Einzige, den wir bewusst beeinflussen können. Alleine die Beobachtung unseres Atems öffnet uns die Tür in eine andere Welt. Wir kennen sie auch als unsere innere Welt. In einem Zustand der Präsenz lernen wir, die Gedanken zur Ruhe zu bringen und in den gegenwärtigen Moment einzutauchen. Denn im Atemverhalten zeigen sich die unbewussten Einschränkungen des Volumens und die Einengung des freien Flusses des Atems. Mit dem Atem haben wir jedoch den Schlüssel, um diese Blockade zu lösen und die Lebensenergie wiederherzustellen. Der Atem zeigt uns auf eine sehr einfache und direkte Weise, wie wir mit uns selbst und unserer Umwelt in Verbindung sind.

In dem Buch Der Alchemist von Paulo Coelho symbolisiert der Wind die universelle Kommunikation – die Fähigkeit, über sichtbare und unsichtbare Grenzen hinweg Botschaften zu empfangen. Genauso sehe ich das mit dem Atem. Beide tragen Informationen, die uns oft unbewusst bleiben, weil wir verlernt haben, ihnen zuzuhören.

Besonders in der Pranayama-Lehre wird der Atem als Energiequelle betrachtet, die es uns ermöglicht, das Leben auf einer tieferen Ebene zu erfahren. Es lehrt uns, wie wir die Lebensenergie (Prana) meistern können. Wer die Kontrolle über den Atem erlangt, kann nicht nur seinen physischen Zustand verbessern, sondern auch seine geistige und emotionale Energie harmonisieren.

Das Thema der Lebensenergie ist auch im vierten Chakra, auf Höhe des Solarplexus, von zentraler Bedeutung. Hier befindet sich das Energiezentrum unserer Emotionen, das für Selbstwahrnehmung und unser Vertrauen in die Welt verantwortlich ist. Eng mit diesen Blockaden verbunden sind Atemstörungen wie Asthma und Kurzatmigkeit. Genau in diesen Bereichen erfordert es die Wahrnehmung der subtilen Signale des Körpers. Sie führen oft dazu, dass Erinnerungen wiedergegeben, Traumata bearbeitet, gespeicherte Spannungen gelöst und unerledigte Prozesse abgeschlossen werden. Durch die Praxis einer Atemsitzung können verschiedene Teile wieder miteinander verbunden werden. Gefühle werden mit mentalen Bildern verknüpft, Impulse werden in Glaubenssysteme integriert, Empfindungen mit Bedeutungen verbunden. Diese Art der Selbstreflexion in der Atemarbeit ermöglicht es, unsere Erfahrungen im Körper zu betrachten.

Das Apnoetauchen ist eine besonders intensive Erfahrung des Atems und der Kontrolle über den eigenen Körper. Wir Menschen besitzen alle einen Tauchreflex. In der Umgebung unserer Nase und Oberlippe befinden sich Rezeptoren, die gewisse Impulse, wie das automatische Anhalten des Atems unter Wasser, beeinflussen. Eine der bemerkenswertesten physiologischen Reaktionen beim Eintauchen ins Wasser ist die Stimulation des Vagusnervs. Dieser zentrale Nerv des parasympathischen Nervensystems beeinflusst viele lebenswichtige Funktionen. Somit kann die Herzfrequenz verlangsamt und der Sauerstoffverbrauch optimiert werden. Neben den physiologischen Vorteilen hat das Tauchen auch eine beruhigende Wirkung auf unseren Geist. Die bewusste Kontrolle über die Atmung, das Eintauchen in eine ruhige Umgebung und die Konzentration auf den Moment tragen dazu bei, Stress abzubauen und innere Ruhe zu finden.

Zu Beginn unseres Lebens wachsen wir neun Monate lang in Fruchtwasser heran – ein Raum, den wir mit Geborgenheit und Schutz verbinden. Große Gewässer, die eine Umgebung des Fruchtwassers widerspiegeln, sind ein Symbol für Freiheit und Lebendigkeit. Diese Erfahrung der Geborgenheit kann in uns eine tiefe Verbindung zu uns selbst herstellen und das Urvertrauen fördern. Doch bei manchen Menschen können Ängste vor Gewässern mit einem Verlust des Urvertrauens zusammenhängen.

Die Achtsamkeit auf den Atem zu lenken, bietet einen Weg, den Geist zu beruhigen, den Körper zu entspannen und die Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Der Atem wird so zu einem Werkzeug, um uns selbst besser zu verstehen und tiefere Ebenen des Bewusstseins zu erreichen.

Im Bereich der Atemarbeit finden sich zahlreiche Techniken, um einen Zustand der Präsenz zu erreichen und Geist und Körper in Einklang zu bringen. Die Meditation ist eine Praxis, die ganz einfach alleine und ortsunabhängig praktiziert werden kann und dabei hilft, innere Ruhe, Klarheit und Selbstverbundenheit in den Alltag zu integrieren. Atemsitzungen bieten einen sicheren Raum für viele Themen und können dabei helfen, die Verbindung zwischen Körper und Geist zu vertiefen, aber auch wertvolle Begleitung durch einen erfahrenen Mentor zu erfahren. Der Prozess wird somit zusätzlich unterstützt und bereichert. Ich persönlich finde die Seminarreihe, die der Verein Atman anbietet, eine wunderbare Möglichkeit, mein eigenes Atemmuster besser kennenzulernen, Präsenz zu üben und den Atem in unterschiedlichen Situationen und Umgebungen bewusst zu erforschen. So bin auch ich in die Welt des Atems eingetaucht.

Für mich hat die bewusste Arbeit mit dem Atem aufgezeigt, wie viel Handlungsspielraum wir in unserem Alltag haben, wenn wir uns der Macht unseres Atems bewusst werden und Gleichmut in jeder Situation finden. Möge der Atem euch stets daran erinnern, dass wir in jedem Moment die Möglichkeit haben, neu zu beginnen.

Dieser Artikel wurde in der Atman Vereins Zeitung veröffentlicht.

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Atem und Klang - unsere (un)sichtbaren Begleiter